Für immer und immer - (Einsatzort Vergangenheit Band 4)

Einsatzort Vergangenheit: Für immer und immer


Über das Buch: 


Kaum sind Laura und Phil von ihrer letzten Zeitreise zurückgekehrt, versuchen sie im Alleingang Antworten auf die vielen ungeklärten Fragen zu finden. Ihr gefährlicher Weg führt sie quer durch die Weltgeschichte: von der Gegenwart bis ins Mittelalter, hinein in die Ballsäle zu Janes Austens Zeit. 


Leseprobe:



»Erinnere mich daran, dass ich in Zukunft meinen Schülern die Wahrheit erzähle und sie darüber aufkläre, dass das ganze Gerede von ritterlichem Benehmen völliger Humbug ist!«, fluchte ich laut, während ich einem dieser ach so edlen Ritter wütend hinterherschaute. Allem Anschein nach hatte einer der Teilnehmer des Mainzer Hoftages die Straße, die Phil und ich entlanggingen, mit dem Turnierfeld verwechselt. Ohne Rücksicht auf Verluste war er in einem wilden Ritt an uns vorbeigaloppiert. Nur ein beherzter Sprung zur Seite hatte mich im letzten Augenblick davor bewahrt, unter die Hufe des Schlachtrosses zu geraten. Phil streckte mir seine Hand entgegen und half mir auf. Erzürnt klopfte ich mir den Straßenstaub von meinen Kleidern und versuchte notdürftig, die schlimmsten Spuren zu beseitigen. Ross und Reiter waren längst hinter der nächsten Kurve verschwunden. Nur ein paar Staubwolken zeugten von ihrer Existenz, dennoch schaute ich weiter ungehalten den Weg hinab und verwünschte den wüsten Reiter in Gedanken.
»Du weißt aber schon, dass sich Ritter hauptsächlich dem anderen Geschlecht gegenüber galant verhielten? In diesem Outfit kannst du dem Mann keinen Vorwurf machen«, erwiderte Phil mit einem Grinsen. Ich sah an mir herunter und seufzte. Phil hatte recht. Statt prachtvoller Kleider mit kunstvoll verzierten Borten und Edelsteinen trug ich die übliche Kluft eines ritterlichen Knappen. Als Phil und ich die Entscheidung getroffen hatten, zum Turnier nach Mainz zu reisen, waren wir schnell übereingekommen, dass ich in die Rolle eines Mannes schlüpfen sollte. Derart verkleidet musste Phil sich nicht ständig Sorgen um meine Sicherheit machen. Somit konnten wir uns ganz auf unser Vorhaben konzentrieren. Auf den ersten oder zweiten Blick sah ich auch tatsächlich aus wie ein junger Mann. Erst von Nahem und bei genauerem Hinsehen stellte man fest, dass ich nicht derjenige war, der ich vorgab zu sein. Sobald ich den Mund aufmachte, war die Illusion sowieso vorbei. Meine Stimme war zu hell und viel zu weiblich, darum überließ ich hauptsächlich Phil das Reden.
»Ach, nur weil ich als Mann durchgehen könnte, darf dieser Kerl mich mit seinem Pferd über den Haufen rennen? Schöne Sitten sind das«, brummte ich verstimmt.
»Du willst mir nicht weismachen, dass dein Zorn sich nur gegen den Ritter richtet, oder?« Phils Stimme hatte einen sanften Tonfall angenommen und er musterte mich aufmerksam. Wie so oft hatte mein Verlobter mich durchschaut. Mein Unmut richtete sich nicht nur gegen den ungehobelten Reiter. Er hatte mit der Gesamtsituation zu tun. Wir waren vor drei Tagen im Jahr 1184 angekommen, in der Hoffnung, eine Spur von Klaus und Richard zu finden. Mit eigenen Augen wollten wir sehen, was zwischen den beiden vorgefallen war. Doch nichts dergleichen war passiert, dafür waren einfach viel zu viele Menschen vor Ort. Vor dem Antritt unserer Reise hatte ich diverse Quellen über das Fest studiert und von nahezu 70.000 Teilnehmern gelesen. Allerdings hatte ich die Schilderungen für maßlos übertrieben gehalten und war von einer wesentlich geringeren Anzahl ausgegangen. Kurz nach unserer Ankunft hatte ich meine Meinung schnell revidiert: Auf der Maaraue war die Hölle los. Kaiser Friedrich I., auch Barbarossa genannt, hatte zu diesem Hoftag eingeladen. Es hatte den Anschein, dass jeder Ritter, Gefolgsmann und Adelige des Landes sich diese Chance nicht hatte entgehen lassen wollen. Während meiner Studienzeit in Mainz hatte ich einige schöne Stunden an diesem Fleckchen verbracht, wo Rhein und Main sich trafen. An lauen Sommerabenden war die Wiese am Rheinufer von grillenden oder einfach nur faul herumliegenden Studenten und jungen Familien übersät gewesen. Doch was ich nun im 12. Jahrhundert vorfand, übertraf alles. Der Kaiser hatte ein richtiges Dorf errichten lassen, komplett mit hölzerner Pfalz, Kirche und anderen Häusern. Wer nicht das Glück hatte, in diesen Gebäuden unterzukommen, verbrachte die Nacht in einem der dicht an dicht stehenden Zelte. An jeder Ecke gab es etwas anderes zu bestaunen. Gaukler, Spielmänner und andere fahrende Künstler gaben ihr Können zum Besten. Wen das nicht interessierte, der konnte sein Glück beim Spielen versuchen. Besonderer Beliebtheit erfreute sich das Spiel Trick-Track - ein Vorläufer des heutigen Backgammon.
Es wurde nie still an diesem Ort, selbst nachts verstummten die Geräusche nicht. Unentwegt hörte man Pferde wiehern, Hühner gackern und Schweine grunzen, von den Lauten, die die Menschen von sich gaben, ganz zu schweigen. Hoftage hatte es unter Barbarossa schon einige gegeben. Dieser aber, bei dem seine Söhne die Schwertleite erhielten, war ein Fest, das seinesgleichen suchte. Wären Phil und ich nicht mit dem Vorsatz hierhergekommen, die jüngeren Versionen von Klaus und Richard zu finden, wir hätten uns sicherlich dem bunten Treiben angeschlossen und es genossen, als stille Beobachter dabei zu sein.
Bereits nach dem ersten Tag war uns allerdings klar geworden, wie irrsinnig unsere Idee gewesen war und dass wir genauso gut eine Nadel im Heuhaufen hätten suchen können. Der Erfolg wäre der gleiche. Seit Tagen hatte ich nur wenige Stunden geschlafen, und wenn, dann war es ein äußerst unruhiger Schlaf gewesen. All diese Punkte zusammengezählt sorgten dafür, dass meine Laune auf dem Tiefpunkt angelangt war. Der Ritter, der mich fast über den Haufen geritten hätte, brachte nun das Fass beinahe zum Überlaufen. Wütend kickte ich ein paar unschuldige Steinchen zur Seite. Wir hatten uns ein gutes Stück vom Festgelände entfernt und die Geräusche der Menschen und Tiere verschmolzen zu einem unregelmäßigen Summen.
»Du weißt genau, dass ich die Hoffnung hatte, Klaus und Richard zu finden. Wer hätte denn damit rechnen können, dass es hier voller sein wird als bei einem Auftritt von Mario Barth?«, erwiderte ich leicht trotzig. Phil lachte kurz auf.
»Nun, ich würde sagen, die Quellen über den Mainzer Hoftag sprachen eine eindeutige Sprache. Aber ich verstehe dich zu gut. Ich hatte auch gehofft, dass wir sie finden würden.«

Nicht lange nach meiner Rückkehr aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart hatten Phil und ich beschlossen, dass wir selbst aktiv werden mussten. Wir wollten auf eigene Faust herausfinden, was Richard uns verschwieg. Tom hatte zwar etwas erstaunt reagiert, als wir ihn baten, Kleider für eine private Reise zu organisieren, doch er hatte, ohne genauer nachzufragen, die entsprechende Kleidung für uns besorgt. Meine Verkleidung hatte er sich von einem anderen Zeitreisenden geliehen und für meine Zwecke angepasst. Nun blieb nur zu wünschen übrig, dass er Richard gegenüber schwieg. Er hatte uns sein Wort gegeben, aber man wusste nie, in welche Situation er geraten könnte. Wir waren überzeugt, dass es Richard nicht recht war, wenn wir in seiner Vergangenheit herumschnüffelten. Doch es war einfach zu viel geschehen, als dass wir die Dinge weiter laufen lassen konnten wie bisher.
»Morgen wird der Hoftag beendet sein. Wenn wir bis dahin die beiden nicht ausfindig gemacht haben, werden wir niemals hierher zurückkehren können«, sprach ich mehr mit mir selbst als mit Phil.
»Einen Schritt weiter, oder wir schneiden dir die Kehle durch«, unterbrach eine männliche Stimme meine Gedankengänge. Verwirrt sah ich mich um und blickte direkt auf die Spitze eines Schwerts, das sich mir gefährlich näherte. Ich schluckte und drehte mich in die andere Richtung, nur um zu sehen, dass auch dort ein zerlumpter Mann mit einem Schwert in der Hand uns drohte. Es knackte im Gebüsch und ein weiterer Halunke trat aus dem Dickicht heraus und auf uns zu. Er war lediglich mit einem langen Dolch bewaffnet. Verzweifelt warf ich einen Blick auf Phil. Er versuchte, unbemerkt sein Schwert aus der Scheide zu ziehen, was seinem Gegenüber jedoch sogleich auffiel und er ihm das Schwert an die Kehle setzte.
»Du sprichst vielleicht nicht unsere Sprache, aber das wirst du sicherlich verstehen«, zischte er und lachte dann laut auf. Dabei zeigte er seine schwarzen, zu Stummeln verkommenen Zähne. Seine Kameraden fielen in das Lachen ein. Zuerst verstand ich nicht, was er damit meinte, dass wir seine Sprache nicht beherrschten, doch dann wurde es mir klar. Unser modernes Deutsch musste in seinen Ohren wie eine Fremdsprache klingen. Umgekehrt war es mir mit dem Mittelhochdeutsch, das hier gesprochen wurde, gegangen. Ich verstand es recht gut, tat mich aber immer noch schwer mit der Aussprache und Grammatik, die sich sehr von der heutigen unterschieden. Phil ließ seine Hand sinken und starrte seinen Angreifer erzürnt an.
»Ich verstehe sehr genau, was du meinst, und ich rate dir, dich nicht mit dem Falschen anzulegen«, knurrte Phil gefährlich leise. Wieder lachten die anderen.
»Habt ihr das gehört? Der edle Herr spricht unsere Sprache und droht uns. Ich mach’ mir gleich die Bruche nass«, johlte einer der Räuber und schlug sich lachend auf die Oberschenkel.
»Die feinen Herren sehen nicht so aus, als hätten sie außerhalb des Turnierplatzes schon einmal einen Kampf gewagt«, fiel der nächste ein, dabei fuchtelte er mit seinem Schwert gefährlich nahe vor meinem Gesicht herum. Nervös überlegte ich, was ich tun könnte. In einem hatten die Räuber recht: Ich hatte keinerlei Ahnung davon, wie ich mit einem Schwert umzugehen hatte. Das Schwert an meiner Hüfte war lediglich eine Attrappe, ein echtes wäre viel zu schwer für mich geworden. Ich hatte spaßeshalber einmal das von Phil in die Hand genommen. Obwohl ich beide Hände benutzt hatte, war es schwer wie ein Sack Blei gewesen und nach wenigen Sekunden hatte ich es wieder aus der Hand gegeben. Nein, für den Kampf war ich definitiv nicht geeignet. Für Phil galten diese Regeln allerdings nicht - er war im Umgang mit dieser Waffe geübt. Er musste nur einen Weg finden, an sein Schwert zu kommen.
»Was wollt ihr von uns?« Phils Stimme klang verächtlich.
»Bestimmt nicht deinen Segen und Gottes Geleit. Wir wollen nur dein Bestes und am liebsten goldglänzend. Also her damit! Mit deinem Schwert fangen wir an, aber keine Dummheiten«, höhnte derjenige der Männer an mich gewandt, der eine Art Anführer zu sein schien. Er war älter als die anderen und seine Wortwahl und die Art, wie er sich ausdrückte, gaben zu erkennen, dass er nicht sein ganzes Leben lang diesem Räubergesindel angehört hatte. Mein Schwert durfte er gerne haben, befand ich. Vorsichtig löste ich den Ledergürtel, mit dessen Hilfe ich mir meine vermeintliche Waffe um die Hüfte gebunden hatte. Ich ließ alles zu Boden fallen und schob es dann langsam mit dem Fuß in Richtung des Anführers. Die Augen unserer Angreifer leuchteten bei dem Anblick des mit Edelsteinen verzierten Knaufs. Sie konnten ja nicht ahnen, dass es völlig wertlose synthetische Edelsteine waren. Sie schienen sich nicht sattsehen zu können an den glitzernden Steinen. Einer der Diebe ging in die Knie, um sich das Kunstwerk näher anzusehen. Dieser kleine Moment der Unachtsamkeit genügte Phil. In einer blitzschnellen Bewegung zog er sein Schwert hervor sowie einen kleinen Dolch, den er unter seiner Tunika verborgen getragen hatte. Keinen Augenblick später hatte er dem am Boden knienden Mann mit seinem Schwert den Arm durchbohrt und es gleich darauf wieder herausgezogen. Helles Blut sprudelte aus der Wunde und der Verletzte schrie vor Schmerzen auf. Mit der linken Hand hielt er sich den tiefen Schnitt und fluchte lauthals.
»Nehmt das Schwert und verschwindet schleunigst, wenn ihr nicht weitere Bekanntschaft mit meinen Waffen machen wollt«, drohte Phil ihnen. Seine Augen blitzten vor Zorn. Ich hatte die Zeit von Phils Angriff genutzt und ebenfalls meinen kleinen, aber scharfen Dolch gezogen. Unbeeindruckt von Phils Drohung und mit einem Riesenschrei der Empörung stürzten sich die beiden Unverletzten auf uns. Funken sprühten, als Eisen gegen Eisen schlug, und Phil versuchte, die beiden Räuber gleichzeitig im Schach zu halten. Im Eifer des Gefechts hatten wir jedoch beide nicht mehr an den verletzten Räuber gedacht. Ein leichtsinniger Fehler, wie ich schnell feststellen musste, als ich mit einem Mal den kalten Stahl einer Schwertklinge an meinem Hals spürte.
»Noch eine Bewegung oder dein hübscher Knappe wird es bitter bereuen«, raunte er und verstärkte den Druck auf meinen Hals. Sein fauliger Atem raubte mir die Luft und mir wurde kurz übel. Phil senkte sein Schwert und starrte in meine Richtung. Fast unmerklich signalisierte ich ihm, dass er nicht aufgeben durfte. Nicht meinetwegen. Er schien verstanden zu haben und drehte sich sofort wieder in die Richtung der anderen beiden Angreifer. Der Druck der Klinge auf meiner Kehle verstärkte sich. Obwohl ich mich schrecklich vor diesem verdreckten und verlausten Gesellen ekelte, tat ich das Einzige, was ich in dieser Situation tun konnte: Mit all meiner Kraft biss ich beherzt in die Hand, die das Schwert hielt. Ein Schmerzensschrei gellte durch die Luft und mein Angreifer ließ seine Waffe fallen. Nun galt es, schnell zu sein. Ich ließ von ihm ab und wirbelte herum. Ehe der räudige Mistkerl begreifen konnte, was geschehen war, hatte ich ihm einen wohlverdienten Tritt in die Weichteile gegeben. Ein weiterer Schrei entwich seiner Kehle und wimmernd hielt er die Hände vor seine Kronjuwelen. Mit meinem Dolch in der Hand näherte ich mich ihm. Ich hatte eine solche Wut auf ihn, dass ich für nichts garantieren konnte. Mein Anblick alleine musste so fürchterlich auf ihn wirken, dass er sich aufrappelte und rannte, als sei er dem Teufel persönlich begegnet, auf und davon. Ich spürte den Geschmack von Blut auf meinen Lippen und wischte mir mit der Hand den Mund ab. Meinen Ekel würgte ich mit knapper Not herunter, als mein Blick flüchtig auf die rot verschmierte Hand fiel. Hoffentlich hatte Dr. Schmitzke mich gegen alle möglichen und unmöglichen Krankheiten geimpft. Ich hatte keine Lust, wegen einer Lappalie wie dieser draufzugehen.

Ich hob das fallengelassene Schwert meines Angreifers auf. Vielleicht konnte ich nicht damit umgehen, aber ich durfte den anderen beiden keine Gelegenheit geben, eine weitere Waffe in ihre Hände zu bekommen. Noch immer gegen die Übelkeit kämpfend drehte ich mich in die Richtung, in der Phil gegen die beiden Mistkerle kämpfte. Mit aller Kraft parierte er einen Schlag nach dem anderen. Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Ich fragte mich, wie lange er gegen die beiden angehen konnte. Phil mochte geschickt sein im Umgang mit dem Schwert, aber er war kein Übermensch. Irgendwann mussten seine Kräfte schwinden. Ich wusste, dass ich weder mit dem Schwert noch dem Dolch etwas ausrichten konnte. Ich musste sie überraschen, ablenken. Nur wie? Ich hatte nichts zur Hand und der staubige Feldweg gab nicht viel her. Staubiger Feldweg? Ein Geistesblitz durchzuckte mich und plötzlich hatte ich eine Ahnung, wie ich Phil helfen konnte. Flink warf ich das Schwert zur Seite und kniete mich nieder. Ich versuchte, so viel Staub und Dreck einzusammeln, wie meine Hand nur fassen konnte . Mit der einen Hand nach unten gesenkt und der anderen den Dolch vor mich haltend, näherte ich mich vorsichtig den Kämpfenden. Mit Genugtuung stellte ich fest, dass Phils Gegner ebenfalls langsam außer Atem kamen. Mit jedem Schlag, den sie parieren mussten, fiel es ihnen schwerer, Herr ihrer Kräfte zu bleiben. Es war jetzt deutlich sichtbar, dass sie nicht im Umgang mit der Waffe trainiert worden waren und sie so einsetzten, wie sie glaubten, dass es richtig war. Ihnen fehlte jegliche Technik und sie verausgabten sich schneller als Phil. Ich kam an seiner Seite zum Stehen und streckte meinen Dolcharm weiter nach vorne aus. Für einen Augenblick hielten alle in ihren Bewegungen inne und starrten verwundert in meine Richtung. Das war meine Chance. Im Bruchteil einer Sekunde schleuderte ich den Staub und Sand dem Gesicht des mir am nächsten stehenden Angreifers entgegen. Er fluchte laut und ließ sein Schwert sinken. Die wüstesten Beschimpfungen gegen mich ausstoßend rieb er sich die Augen. Derart abgelenkt bekam er nicht mit, wie ich mich ihm näherte und ihm, wie seinem Kumpel zuvor, einen wohl platzierten Tritt verpasste.
»Du elender Sohn einer Hure, dafür sollst du in der Hölle schmoren«, schrie er und sank in die Knie. Phil nutzte die Gelegenheit und stürzte sich mit aller Gewalt auf den übrig gebliebenen Dieb. Währenddessen richtete ich meinen Dolch auf den Kerl vor mir, der sich vor Schmerzen wand. Es war besser, kein Risiko einzugehen. Was Phil zuvor bei zwei Angreifern schwergefallen war, war nun ein Leichtes für ihn. Mit wenigen Schlägen hatte er seinen Gegner entwaffnet und richtete sein Schwert auf ihn. Sein Gegenüber trug nur eine einfache Tunika und war völlig schutzlos. Die nackte Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er wusste, dass es vorbei war. Statt sich jedoch zu ergeben, machte er auf dem Absatz kehrt und rannte eiligst davon. Seinen Kameraden ließ er schmählich im Stich. Dieser lag noch immer am Boden und wimmerte vor Schmerz. Ich musste ihn richtig gut erwischt haben. Ich hoffte, dass er lange an mich denken und ihm dabei jedes Mal ein Schauder des Entsetzens über den Rücken laufen würde.

»Hätte ich gewusst, dass du das alleine kannst, hätte ich mich zurückgelehnt und alles gemütlich beobachtet, anstatt bis aufs Blut zu kämpfen«, zog Phil mich auf, als er sich zu mir und dem letzten Räuber gesellte. Ich sah ihn mir genauer an und konnte mir nur mühsam ein Grinsen verkneifen. Er hatte einige harmlose Kratzer abbekommen, aber von einem Kampf bis aufs Blut konnte keine Rede sein. Mit ein bisschen Jod würden diese Wunden innerhalb kürzester Zeit verheilen. Es würden nicht einmal Narben zurückbleiben.
»Ich hatte Glück, es hätte auch anders ausgehen können. Was machen wir mit dem hier?«, fragte ich und wies mit dem Kopf in die Richtung des von seinen Kumpanen verlassenen Räubers.
»Wie heißt du?«, herrschte Phil ihn an. Der Zurückgelassene krümmte sich weiterhin am Boden und ließ Verwünschungen von sich, die zartbesaiteten Menschen die Schamesröte ins Gesicht treiben konnten. Als Phil das Wort an ihn richtete, hielt er inne und hob seinen Kopf. Trotzig und erzürnt blickte er uns an.
»Man nennt mich Gensfleisch, aber was interessiert es Euch?«, gab er zur Antwort. Bei der Nennung seines Namens tauschten Phil und ich einen verdutzten Blick.
»Nun Gensfleisch, ich muss etwas von dir wissen«, begann Phil. Gensfleisch starrte uns zunächst nur an und spuckte dann vor unsere Füße.
»Und wer sagt, dass ich Euch verrate, was Ihr wissen wollt?« Er versuchte, sich zu erheben, wurde jedoch von Phils Schwert davon abgehalten. Mit der Spitze hob Phil sein Kinn an. Mehr war nicht vonnöten. Abwehrend hob Gensfleisch die Hände in die Höhe.
»Ist ja gut, kein Grund mich aufzuspießen. Also, was ist Euer Begehr?« Wieder war ich von seiner Wortwahl überrascht. Für einen Dieb drückte er sich ziemlich gewählt aus.
»Haben du oder deine Kameraden in den letzten Tagen zwei Edelleute hier überfallen?« Gensfleisch verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
»Ihr meint außer Euch beiden?« Der Druck von Phils Schwert verstärkte sich und ein kleiner Blutstropfen rann Gensfleischs Kinn herab.
»Ich mache keine Witze, also raus mit der Sprache. Habt ihr zwei Edelleute überfallen oder nicht?« Unser Gegenüber schüttelte den Kopf. Phils imposante Gestalt und seine tiefe, grollende Stimme flößten ihm eindeutig Angst ein.
»Wenn ich etwas darüber wüsste, was würdet Ihr mit mir machen?« Er wollte trotz seiner misslichen Lage mit uns handeln. Mut hatte er, das musste ich ihm lassen.
»Das kann ich dir nicht sagen, es kommt darauf an, was du uns mitzuteilen hast. Sieh’ ein, dass du den Kürzeren gezogen hast. Hier wird nicht gehandelt, also raus mit der Sprache: Was weißt du?« Phils sanfter Tonfall schien Gensfleisch noch weitaus mehr einzuschüchtern als sein Aufbrausen zuvor.
»Wir haben niemanden überfallen, aber im Lager ist die Rede von zwei Männern, die sich abseits des Turniers einen erbitterten Kampf geliefert haben. Es war vor zwei Tagen, nicht weit von hier. Mehr weiß ich nicht, mein Herr, und das ist die Wahrheit!« Ich war geneigt, ihm zu glauben. Immerhin hatte er von sich aus berichtet, dass die beiden miteinander gekämpft hatten, danach hatte Phil nicht gefragt.
»Was meinst du?«, wollte Phil von mir wissen.
»Was weißt du über den Verbleib der beiden?«, wandte ich mich an Gensfleisch. Ich bemühte mich nicht einmal, meiner Stimme einen tiefen, männlichen Tonfall zu verleihen. Sollte er ruhig wissen, dass er von einer Frau besiegt worden war. Seine Augen weiteten sich beim Klang meiner hellen Stimme vor Überraschung und glommen feindselig.
»Bin ich deren Amme? Nichts weiß ich. Es haben nur einige im Lager erzählt, dass sie Zeuge eines blutigen Kampfes wurden. Es war ein Kampf auf Leben und Tod. Vermutlich liegen beide irgendwo im Graben und verrotten. Oder aber man hat sie gefunden und ins Spital gebracht. Mehr weiß ich nicht!« Das passte zu der Geschichte, die sowohl Klaus als auch Richard erzählt hatten. Mit dem einzigen Unterschied, dass sie uns hatten weismachen wollen, dass sie überfallen worden waren. Wenn man diesem Räuber Glauben schenken durfte, dann waren Klaus und Richard die Einzigen, die an der Auseinandersetzung beteiligt waren. Phil ließ sein Schwert sinken.
»Du kannst gehen. Lauf so schnell du kannst und komm mir nicht mehr unter die Augen, sonst vergesse ich meinen Großmut und liefere dich den Obrigkeiten aus«, entließ er ihn und starrte sein Gegenüber drohend an. Das ließ sich Gensfleisch nicht zweimal sagen. Er rappelte sich auf und humpelte eilends davon. Wir schauten ihm hinterher, bis keine Spur mehr von ihm zu sehen war.
»Ich fasse es nicht! Gensfleisch! Kein Wunder, dass du ihn hast laufen lassen!« Ungläubig schüttelte ich den Kopf.
»Ich weiß. Meinst du, ich will derjenige sein, der Richard erklärt, dass wir den Auftrag Gutenbergs Urahn zu retten nicht annehmen können, weil wir diejenigen waren, die ihn ausgeliefert haben?« Er zog die Zeitmaschine hervor und prüfte sie schnell. Zufrieden nickte er.
»Alles in Ordnung, das Licht ist noch immer grün. Was jetzt?«
»Hier auf dem Hoftag gibt es nichts mehr für uns zu tun. Wir sollten das Spital ausfindig machen. Nach eigener Aussage wurde Klaus dort wach. Er war schwer verletzt und man überlegte, ihm sein Bein abzunehmen. Er muss also irgendwo in der Nähe sein. Er kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben.«


»Gut, dann lass uns morgen auf die Suche gehen. Für heute habe ich genug! Lass uns zurückkehren. Ich möchte meiner tapferen Retterin gebührend dafür danken, dass sie wie eine Löwin um mich gekämpft hat.« 

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